Biomechanik vs. Stoffwechsel: Wie du deine optimale Kadenz findest
Die ewige Frage – Was ist die beste Trittfrequenz beim Radfahren?
Egal ob an einem langen Anstieg, im alltäglichen Training oder bei Gegenwind: Du fragst dich, ob du nicht besser mit einer anderen Trittfrequenz fahren solltest. Schneller? Langsamer? Oder einfach wie bisher? Und warum lassen sich bei anderen so große Unterschiede in der Kadenz beobachten?
Die Antwort ist nicht ganz so einfach. Es gibt nämlich nicht die eine perfekte Trittfrequenz für alle. Stattdessen bewegt sich jede:r irgendwo zwischen zwei Extremen: dem biomechanischen Optimum und dem metabolischen Optimum. Wo du dich in diesem Spektrum befindest, hängt u.a. von deiner Veranlagung, deiner Erfahrung und deinem Trainingszustand ab.
Biomechanisches Optimum: Langsam, aber kraftvoll
Am unteren Ende des Spektrums liegt das, was man als biomechanisch optimal bezeichnet – etwa 60 Umdrehungen pro Minute. Das klingt langsam, ist aber vor allem für Einsteiger:innen sinnvoll.
Biomechanisches Optimum: 60 U/min
Bei niedriger Trittfrequenz fällt die neuromuskuläre Kontrolle am einfachsten. Radfahren erscheint als triviale Bewegung. Nichtsdestotrotz muss die Bewegung der beiden Beine optimal aufeinander abgestimmt sein. Ansonsten arbeitest du immer gegen den Widerstand des passiven Beins. Darüber hinaus fällt es schwer, bei einer hohen Kadenz den perfekten Tritt zu finden. Denn die Kurbelumdrehung ist stets nach vorne gerichtet.
Wer erst mit dem Radfahren beginnt, tritt häufiger eher nach unten. Erst ab der Kurbelstellung von 90 Grad wird in diesem Fall richtig Kraft erzeugt. Zwar ist das rein mechanisch auf Grund der Hebelwirkung der Kurbel gut, verschwendet aber einen Großteil der Kurbelumdrehung. Biomechanisch ist dies also nicht optimal. Hier setzt die Kraftentwicklung bereits bei einer Kurbelstellung auf der 2 Uhr Position ein. So werden mehr Muskeln an der Bewegung beteligt und diese sind über einen längeren Zeitraum aktiv.
Wer also erst mit dem Radfahren beginnt und noch nicht so viele Lebenskilometer sammeln konnte, wird eine individuell optimale Trittfrequenz haben, die sehr stark vom biomechanischen Optimum beeinflusst ist. Im Laufe der Zeit verbessert sich die neuromuskuläre Kontrolle automatisch. Alleine durch mehr Stunden im Sattel wirst du effizienter. Deine individuell optimale Trittfrequenz steigt daher im Laufe der Zeit tendenziell an.
Metabolisches Optimum: Schnell, effizient und ausdauernd
Je schneller du trittst, desto mehr wandert die Belastung vom Muskel hin zum Herz-Kreislaufsystem. Das bedeutet: Dein Körper kann Sauerstoff und Nährstoffe effizienter transportieren, was bei längeren Fahrten ein riesiger Vorteil ist.
Entscheidend ist hier das relative Krafterfordernis. Muss ein Muskel 15 % seiner Maximalkraft aufbringen, wird die Blutversorgung bereits eingeschränkt. Ab einem Anteil von 80 % der Maximalkraft versiegt die Blutzufuhr gar vollständig. Da deine Leistung das Produkt aus Drehmoment und Trittfrquenz darstellt, kann die gleiche Leistung bei einer höheren Kadenz mit einem niedrigeren Drehmoment erzeugt werden. Tritts du also schneller, wird die Blutzufuhr weniger stark beeinträchtigt. Deine Muskeln können besser mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt werden.
Bei etwa 120 U/min liegt daher das metabolische Optimum. Der Stoffwechsel läuft auf Hochtouren, die Muskeln werden besser durchblutet – und du sparst dir muskuläre Spitzenbelastungen.
Metabolisches Optimum: 120 U/min
Das metabolische Optimum beeinflusst vor allem bei zunehmendem Fitnesslevel deine individuell optimale Kadenz. Gute Fitness geht in der Regel mit einer hohen Effizienz einher. Ohne eine Vielzahl an Lebenskilometern fällt es einfach schwierig, überhaupt so eine gute Form aufzubauen. Weiterhin steigen die Anforderungen an die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung, je mehr Leistung du auf das Pedal bringst. Die Vorteile der besseren Versorgung der Muskeln überwiegen somit die Nachteile der schwierigeren neuromuskulären Kontrolle.
Zwischen beiden Extremen: Deine individuell optimale Trittfrequenz
Wo genau du persönlich landest, hängt nun von mehreren Faktoren ab:
- Erfahrung: Je besser deine Technik, desto leichter fällt dir eine höhere Kadenz. Anfänger:innen bleiben oft im unteren Bereich – das ist völlig normal.
- Fitnesslevel: Mit zunehmender Ausdauer wird der metabolische Aspekt wichtiger – und damit meist auch eine etwas höhere Trittfrequenz.
- Muskelstruktur: Hast du eher schnelle oder langsame Muskelfasern? Das beeinflusst, ob du dich mit hoher oder niedriger Frequenz wohler fühlst.
Tipp: Besonders beim Indoor-Training im ERG-Modus fällt auf, wie stark die Trittfrequenz die Leistung beeinflusst. Sinkt die Kadenz, kann es schnell zäh werden. Behalte also die Kadenz im Blick und verfalle nicht in eine Abwärtsspirale.
Fazit: Es gibt kein Richtig oder Falsch – nur das, was zu dir passt
Ob du lieber kraftvoll „kurbelst“ oder schnell und rund pedalierst – deine optimale Trittfrequenz ist so individuell wie dein Bike-Setup. Und sie verändert sich mit deiner Erfahrung, deiner Trainingsform und deinem Ziel (Stichwort Training bei bewusst niedrigen oder hohen Kadenzen).
Probiere dich aus. Fahr Intervalle mit unterschiedlicher Kadenz, beobachte deinen Puls, deine Leistung – und dein Gefühl.
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