Im Rahmen meiner Vorbereitung auf das Northcape4000 stehen nicht nur viele Trainingseinheiten auf dem Plan. Vielmehr muss ich auch die perfekte Ausrüstung zusammenstellen und noch viel wichtiger – ich muss mich mental auf das Unterfangen einstellen. Daher widme ich dieses Jahr erstmals ganz gezielt einzelne Einheiten der mentalen Vorbereitung. Daher habe ich in den letzten Wochen einmal zusammengetragen, welche Extremsituationen ich in meinem bisherigen Sportler-Dasein erfolgreich gemeistert habe und wie ich hieraus einen Nutzen für bevorstehende Herausforderungen ziehen kann. Dabei kamen mir unter anderem extreme Wettersituationen von Hitze und Wassermangel, über endlose kalte Nächte, besorgniserregende Gewitter oder dauerhaft anhaltenden Starkregen in den Sinn. Aber auch gänzlich andere Szenarien haben meine Radtouren in der Vergangenheit erschwert. Seien es aggressive Hütehunde oder auch äußerst suspekte Menschen, mit denen man über kurz oder lang in Kontakt kommt. Insgesamt ist mir dabei gewusst geworden, dass ein Großteil der mich prägenden Erfahrungen tatsächlich nicht im Renngeschehen aufgetreten sind, sondern dass es vielmehr meine frühen Anfänge als „Ultracyclist“ sind, die mir nun einen entscheidenden Vorteil bringen können. Denn ein Bikepacking-Rennen vom Format des Northcape4000 ist vor allem eins – ein riesiges Abenteuer. Und erst an zweiter Stelle ein Rennen. Daher habe ich nachfolgend einmal eine Art Chronik meiner bisherigen Rad-Karriere zusammengeschrieben. Vor allem für mich selbst. Aber wer daran teilhaben mag – viel Spaß beim Lesen.
Die ersten „wirklichen“ Touren
Der Moment, der mich wohl nachhaltig geprägt hat, war meine aller erste Radtour über 100km. Der erste Century-Ride. Eine Teilschuld an meiner Obsession immer weiter zu wollen, trägt daher wohl mein Onkel. Ich muss damals 13 Jahre alt gewesen sein und mein Onkel wollte einmal die Insel Bornholm in Dänemark umrunden auf der wir gemeinsam Urlaub gemacht haben. Ich hatte zwar kein eigenes Rad dabei, konnte aber das von meinem Cousin ausleihen. Also sind wir einen kompletten Tag um die Insel geradelt. Etwas mehr als 100km. Und ab dann wusste ich, dass das mein Ding ist.
Wieder zurück zu Hause bin ich ab diesem Moment regelmäßig 100+ Touren in der Rhön und im Fuldaer Umland gefahren. Mit 14 kam dann auch schon meine erste Mehrtagestour dazu. Mit einer Packtasche am Rad und vorher bereits gebuchten Übernachtungen in Pensionen habe ich mich aufgemacht das Dreiländereck zu erkunden. An drei Tagen sollte es durch Hessen, Bayern und Thüringen gehen. Pro Tag hatte ich mir damals ca. 80km vorgenommen. Denn ich sollte es damals nicht übertreiben. Am Ende kam ich einen Tag früher als geplant wieder nach Hause…
Mit 16 stand dann das erste Mal Bikepacking auf dem Programm. Wobei es den Ausdruck damals wohl noch gar nicht gab. Zusammen mit meinen drei besten Freunden radelten wir von Magdeburg über die Mecklenburgische Seenplatte und Rügen entlang der Ostseeküste nach Lübeck. Im Gegensatz zu heute hatte ich damals gefühlt einen gesamten Hausstand dabei. Naja, ein extra Badehandtuch werde ich beim NC4K wohl nicht mit nehmen.

Das Jahr darauf sind wir dann langsam ins Renngeschehen eingestiegen. Seit ein paar Jahren gab es beim alljährlichen RTF in Bimbach eine Strecke über 200km. Die hatten wir uns als sportliche Herausforderung vorgenommen. Mittlerweile ist Bimbach zu einer echten Institution im Amateur Radsport geworden. Damals hingegen war alles noch etwas hemdsärmliger. Mit dem oben abgebildeten Rad ging es also an den Start. Die Blicke der anderen Teilnehmer waren unbezahlbar. Vor allem als wir die Verpflegungsstationen erreichten, die nur noch für die Marathon-Teilnehmer sind. Ich glaube ich kann behaupten, dass wir in der damaligen Ausgabe die einzigen Teilnehmer ohne Rennrad waren. Aber wir waren am Ende auch wirklich extrem langsam. Nur Dextro Energy hat uns irgendwie ins Ziel gebracht. Immerhin konnte ich in der Folge noch zwei mal die lange Strecke in Bimbach auf meinem Touren-Rad bezwingen. Und dann auch ohne von allen Rennradfahrern abgehängt zu werden.
Im Jahr 2008 stand dann die erste Alpenüberquerung an. Die gleiche Konstellation und auch die gleichen Bikes wie bei unserer Tour an die Ostsee. Diesmal ging es von Füssen aus über die Alpen nach Italien und wieder zurück. Auch hier wieder mit viel zu viel Gepäck und teils über schlichtweg nur für Mountainbikes geeignete Strecken. Aber auch das haben wir ganz gut gemeistert.
Die Abenteuer werden größer
Im Laufe meines Studiums wurde die Abenteuerlust langsam größer. Und auch meine Fitness war bis zu diesem Zeitpunkt auf einem für Langstrecken geeigneten Niveau. Insbesondere weil zu diesem Zeitpunkt das Bike für mich auch das praktischste und vor allem günstigste Fortbewegungsmittel war. Regelmäßig ging es über 200km von meinem Studienort Leipzig nach Berlin, um meine Schwester dort zu besuchen. Ebenso nach Hamburg zu meinen Großeltern. Und eben in meine Heimatstadt Fulda. Dies war dann auch meine erste Überwindung der Grenze von 300km an einem Tag. Knapp 320km hieß es zu fahren, um an einem Stück von Leipzig nach Fulda zu kommen. Ob es wirklich geht wusste ich damals nicht. Aber ich beschloss einfach im Gegensatz zu meinen bisherigen Touren Zelt und Schlafsack zu Hause zu lassen. Somit hatte ich gar keine andere Wahl als durchzuziehen.
In 2011 stand das bis dato größte Abenteuer an. Mit dem Rad startete ich direkt aus meiner Studenten-WG und machte mich auf den Weg nach Prag. Zumindest hatte ich Landkarten bis Tschechien dabei. Wo genau es hingehen sollte, wusste ich zu Beginn der Tour noch nicht. Lediglich, dass ich ca. drei Wochen Zeit habe. Ein Smartphone hatte ich zu der Zeit noch nicht. Geschweige denn ein Navi am Fahrrad. Ganz old school hieß es mit Karte und Kompass zu navigieren. Und immer wenn ich ein Land durchquert hatte ab zur Tankstelle oder in den Buchladen, um eine Karte zu suchen und das nächste Ziel zu bestimmen. Schlussendlich führte mich mein Weg durch Tschechien nach Wien. Von dort entlang der Donau nach Bratislava und Budapest. Und dann weiter nach Rumänien wo ich mich größtenteils in den Karpaten austobte. Mein Bike war jetzt endlich ein Neues und speziell für solche Vorhaben aufgebaut. Mein damaliger ganzer Stolz. Ein Surly Long Haul Trucker. In meinen Augen immer noch eines der besten Bikes für diese Art von Touren. Einfach unzerstörbar – weshalb es 10 Jahre später immer noch meine Freundin täglich zur Arbeit bringt 🙂 Auch das Gepäck war nun deutlich weniger. Die Kilometer pro Tag entsprechend deutlich mehr. Mit dem Wetter sollte ich leider so überhaupt kein Glück haben. Nachts noch Frost und tagsüber gefühlt dauerhaft Regen. Bei dieser Tour brachte mich das Wetter also erstmals an meine Grenzen.
Das eigentliche Dilemma passierte aber erst auf der Rückreise von Bukarest. Ich übernachtete dort am Bahnhof in der Wartehalle und musste zum ersten Mal feststellen, dass private Security nicht wirklich zur Sicherheit beiträgt. Denn wenn Du dort nicht ein paar Scheine als Bestechung hast springen lasse, konnte man sich auch an öffentlichen Orten nicht aufhalten. Also blieb ich eine gesamte Nacht wach, um nicht ausgeraubt zu werden. Für ein Hotel o.ä. war ich damals aber halt auch zu geizig. Am nächsten Morgen stellte ich dann fest, dass ich einen manipulierten Geldautomaten benutzt hatte. Also ließ ich meine Kreditkarte sperren. Dummerweise wurde die EC Karte gleich mitgesperrt. Und eine Entsperrung war scheinbar nicht ohne Weiteres möglich. Also reiste ich ohne Bar- oder Giralgeld von Bukarest bis Wien. Eine eher unschöne Erfahrung. In Wien dann endlich wieder Geld per Westernunion von den Eltern, sodass ich entspannt nach München reisen konnte und die Tour dort bei einem Kumpel beendete.
Ein Jahr später schloss sich dann gleich die nächste große Tour an. Von Helsinki aus startend ging es immer entlang der Ostseeküste durch Russland, Estland, Lettland, Litauen und Polen bis Warschau. Etwas über 3.000km in ebenfalls wieder drei Wochen. Auch hier konnte ich jede Menge neue Erfahrungen sammeln. Zum Beispiel wie es ist mit dem Fahrrad auf einer russischen Autobahn unterwegs zu sein. Nicht unbedingt empfehlenswert. Aber der Grenzposten selbst hat mich tatsächlich dort entlang geschickt. Ebenso musste ich feststellen, dass es zwar rein theoretisch eine gute Idee ist immer entlang der Küstenlinie zu fahren, wenn man ohne Navi und Karte seinen Weg durch eine Millionenstadt wie St. Petersburg sucht. Man aber rein praktisch gesehen nicht unbedingt in der aufkommenden Abenddämmerung in russischen Hafenvierteln herumirren möchte. Ansonsten aber eine wunderbare Tour. Und die erste bei der ich vollständig auf die Nutzung von Camping Plätzen oder gar Hostels verzichtet habe.
Die nächste große Tour führte mich wieder einmal von Füssen aus über die Alpen nach Italien. Die italienische Adriaküste herunter bis Bari und von dort mit der Fähre nach Dubrovnik. Dann entlang der kroatischen Adriaküste wieder gen Norden und über die slowenischen Alpen zurück nach München. Auf dieser Tour hatte ich vor allem mit der erbarmungslosen Sonne im August zu kämpfen. Vor allem in Süditalien brachte mich die Hitze an meine Grenzen. Denn wider Erwartens ist die Gegend dort ganz schön dünn besiedelt, sodass die Wasservorräte am Bike gut kalkuliert sein wollen. Am Ende habe ich teilweise Brühwürfel in meinen Radflaschen aufgelöst, um den Electrolyt-Verlust irgendwie auszugleichen. Dafür wurde ich erneut mit atemberaubenden Landschaften belohnt.
Racing – „You are an Ironman“
2015 beginne ich dann mit den ersten wirklichen Rennen. Den Auftakt macht meine erste Ironman Teilnahme in Frankfurt. Wieder einmal ist die Hitze die größte Herausforderung. Kurzzeitig steht sogar die Absage der gesamten Veranstaltung im Raum. Am Ende entscheidet sich der Veranstalter für die Durchführung – trotzt 37 Grad im Schatten. Für mich war daher aber bereits vor dem Start klar, dass es für mich keine Ziel-Zeit geben kann. Ankommen ist die Devise. Und das ohne gesundheitliche Schäden davonzutragen. An diesem Tag entsteht dann auch mein bis heute gebliebener Spitzname. #barthsman mischt ab jetzt in der Rennszene mit. Und ich kann die Aussage vieler bestätigen – der Moment auf der Zielgerade und der ikonische Ruf „You are an Ironman“ ist einer meiner größten Gänsehaut-Momente.
Im Jahr darauf dann meine zweite Teilnahme beim Ironman Frankfurt. Diesmal unter nahezu perfekten Wetterbedingungen. Und auch mein Training ist mittlerweile deutlich professioneller und zielführender. Daher auch eine enorme Verbesserung in der Zeit. Mit knapp 10,5h konnte ich mein damaliges Ziel absolut erreichen. Vor allem wenn man bedenkt, dass am nächsten Tag eine der letzten Klausuren meines Master-Studiums anstand. Bei den Kommilitonen habe ich einiges an Kopfschütteln hervorgerufen.

Ultracycling – Here I come
Ebenfalls im Jahr 2016 nehme ich dann auch an meinem ersten 24-h Rennen teil. Der 24-h Schinderei in Hitzendorf, Österreich. Ich habe mir kurz zuvor ein neues Auto gekauft und nutze die Gelegenheit für einen ausgedehnten Roadtrip in die Steiermark. Nach einem Zwischenstopp am Großglockner geht es 24 Stunden rund um die Kirschenhalle. Eine Betreuer-Crew habe ich nicht dabei. Sondern nur meine Klappbox mit 12 Radflaschen Iso und ab gehts. Daher bin ich immer noch stolz auf meine knapp über 600km.
Und ab diesem Zeitpunkt ist der Fokus ganz klar auf Ultracycling Events gelegt. Über die sich anschließenden Rennen habe ich ja bereits ausführlich bereichtet:
- 24-h Kelheim 2017
- 24-h Carabaca Radtrophy 2017
- Glocknerman 2018
- Race Across Germany 2018
- Tortour 2018
- Bikingman Korsika 2019
- 24-h Kelheim 2019
Einige Top 10 und Podiums-Platzierungen haben mir gezeigt, dass ich athletisch in der Lage bin diese Art von Rennen gut zu meistern. Aber vor allem meine letztjährigen #Riding4Europe Touren haben mir wieder ins Bewusstsein gerufen was mein wirkliches Asset im Radsport ist. Nirgends sonst verspüre ich ein derart berauschendes Gefühl der Freiheit wie auf einer mehrtägigen Radtour. Das Wissen aus eigener Kraft innerhalb kürzester Zeit tausende von Kilometern überwinden zu können, ist schlichtweg atemberaubend. Und mit genau dieser Gewissheit werde ich beim Northcape4000 an den Start gehen. Mit dem Durst dieses Gefühl 4.000km durch 11 Nationen hinweg verspüren zu dürfen. Das heißt natürlich nicht, dass es für mich ein Urlaub wird. Ich gehe durchaus mit ambitionierten Zielen an den Start. Aber es soll beides sein. Ein Rennen. Und ein Abenteuer.
Daher – Back to the Roots!