Race Around Germany

Nach einer extrem langen pandemiebedingten Rennpause ging es am 25. Juli 2021 morgens früh um 3:27 Uhr endlich wieder los. Ursprünglich war bereits in 2020 der Start beim Northcape4000 geplant gewesen. Auf Grund der Pandemie wurde das Rennen jedoch auf 2021 verschoben. Wegen zeitlicher Engpässe und auch einem etwas schlechten Gefühl bei einer immer noch anhaltenden Pandemie ein Rennen zu bestreiten, welches 12 Grenzübergänge beinhaltet, entschied ich mich alternativ das Race Around Germany zu bestreiten. Dabei handelt es sich um ein 3.300 km langes individuelles Zeitfahren rund um Deutschland. Sprich es wird alleine und ausschließlich gegen die Zeit bzw. sich selbst gefahren. Also das perfekte Format für die aktuelle Situation.

Rennverlauf

Als Startpunkt hatte ich Pirmasens in Rheinland-Pfalz auserkoren, da es sich um den nächstgelegenen Streckenabschnitt von Frankfurt aus handelt. Um entspannt starten zu können, bin ich am Vorabend angereist und habe dort noch eine Nacht im Hotel verbracht. Sonntag morgen ging es dann ab auf die Strecke. Die Luftfeuchtigkeit lag bei gefühlten 90 %, sodass mir die angezeigte Temperatur von 14 Grad deutlich wärmer vorgekommen ist. Also ging es selbst nachts in kurzer Hose und nur mit Windweste ab durch die Eifel. Meine Beine fühlten sich hervorragend an und ich hatte vollstes Vertrauen in mein vorab ausgiebig getestetes Setup. Der erste Streckenabschnitt bis Kevelaer war daher auch der schnellste im Rennen. 24,5 km/h im Schnitt und insgesamt eine pausierte Zeit von weniger als einer Stunde…so konnte es gerne weitergehen. Die erste Nacht hatte ich mir vorgenommen durchzufahren. Erfahrungsgemäß stellt dies eigentlich kein Problem dar. Diesmal allerdings doch. Die Müdigkeit machte mir schwer zu schaffen. Zwei Mal stellten sich Wahrnehmungsstörungen ein, sodass ich mit zwei kurzen Powernaps gegensteuern musste. Hinzu kam ein anhaltender Dauerregen ab Einsetzen der Dunkelheit, sodass das Rennen versprach ab dem ersten Tag an hart zu werden. Nichtsdestotrotz erreichte ich am Nachmittag des nächsten Tages die Weserfähre. Dies war ein Schlüsselmoment im Rennen, da sowohl die Weser- als auch die Elbfähre nachts nicht verkehren. Nach der Weserquerung kämpfte ich mich daher weiter Richtung Elbe und traf gegen 19 Uhr am Fähranleger in Wischhafen ein. Hier gönnte ich mir eine etwas ausgiebigere Pause, da meine Tante und mein Onkel mich hier an der Strecke abgepasst haben. Besten Dank dafür! Das war in dem Moment ein echter Boost für die Motivation. Pünktlich um 20 Uhr konnte ich daher die Fähre nehmen und entschied mich auf der anderen Seite angekommen die erste Schlafpause von 3 h einzulegen. Auf Grund des starken Regens waren meine Füße zu dem Zeitpunkt bereits ziemlich in Mitleidenschaft gezogen und die lange Pause tat wirklich extrem gut. Mit neuer Kraft ging es also mitten in der Nacht wieder auf´s Rad und ab gen Norden. Erst nach Flensburg und dann über Kiel und Lübeck Richtung Wismar.

Jetzt begannen die Strapazen so richtig….die Straßen wurden immer schlechter, mein Hintern schmerzte immer mehr und die Müdigkeit tat das ihre, um meine Stimmung insgesamt auf einen Tiefpunkt zu bringen. Ab jetzt war es ein permanenter Kampf mit mir selbst und mehr als einmal musste mich meine Freundin am Telefon davon überzeugen, dass ich viel zu hart für dieses Rennen gearbeitet hatte, um nun aufzugeben. Hier zeigte sich die wahre Herausforderung eines individuellen Zeitfahrens. Es sind keine anderen Athleten:innen vor oder hinter einem auf der Strecke, die einen anspornen können weiterzumachen. Man muss ganz genau wissen, weshalb man sich gerade freiwillig diesen Strapazen aussetzt. Und hier muss ich mir selbst eingestehen, dass ich diesen mentalen Faktor absolut unterschätzt hatte. Die Beine fühlten sich zu jeder Zeit noch gut an und ich war zeitlich noch immer top unterwegs – aber dennoch konnte ich die negativen Gedanken nur sehr schwer kontrollieren. Als diese drohten die Überhand zu nehmen, zog ich daher in Angermünde die Reißleine und checkte das erste Mal in einem Hotel ein. Reichlich essen, eine warme Dusche und erneut 3 h Schlaf am Stück sorgten für den Neustart. Auch die Straßen wurden ab Frankfurt Oder langsam wieder besser und kurz vor Dresden das erste Mal wieder richtig gut. Also ging es weiter über Chemnitz ins Erzgebirge. Endlich wieder Steigungen. Man mag sich wundern, aber in der Tat hatte ich mich die ganze Zeit auf die Streckenabschnitte mit mehr Höhenmetern gefreut. Zwar sind diese körperlich anstrengender zu fahren, aber mental fallen mir Berge einfach leichter als das endlose Treten in der Ebene. Hinzu kommt die abwechslungsreiche Schwerkraft, die automatisch auch immer wieder das Gesäß entlastet. In diesem Abschnitt begleitete mich darüber hinaus Stefan Hermann ein paar Kilometer, der einige Wochen zuvor ebenfalls das Race Around Germany finishen konnte. Eine sehr willkommene Abwechslung zum alleine Dahinrollen. Bis zu diesem Zeitpunkt war sogar der Streckenrekord zumindest rein rechnerisch noch im Bereich des möglichen. Von diesem Gedanken angespornt, gab ich alles und kürzte die Schlafpausen etwas. Und genau das sollte mir zum Verhängnis werden. Im Fichtelgebirge stand der nächste Nap an. Beim Vorbereiten meines Biwacks bemerkte ich allerdings, dass mir die Kontrolle zu entgleiten drohte. Ich schaute an mir herab, um festzustellen, dass ich einen Schuh bereits ausgezogen hatte, den anderen noch an hatte, die Zahnbürste bereits im Mund und meine Ausrüstung überall verteilt herumlag. Von Effizienz keine Spur mehr. Also entschloss ich mich an Stelle des geplanten Naps erneut 3 h Schlaf einzulegen. Definitiv die richtige Entscheidung. Leider konnte ich diese nicht wie geplant umsetzen. Kurz nachdem ich mich abgelegt hatte, zog ein starkes Unwetter auf, welches sich direkt über mir befand. Blitz, Donner, heftigster Regen. Statt Schlafen war ich folglich nur damit beschäftigt zu versuchen meine Sachen trocken zu halten. Nachdem das Unwetter vorübergezogen war, setzte ich meinen Weg gen Südwesten fort. Aber dieses Schlafdefizit sollte ich nicht mehr aufholen können. Am Abend erreichten mich dann die Nachrichten, dass für die Region weitere starke Unwetter angekündigt waren. In meiner aktuellen Verfassung und mit den Bilder der Flutkatastrophe der letzten Wochen noch frisch im Kopf, konnte ich mit dieser Situation nur schwer umgehen und das Rennen stand kurz vor dem Abbruch. Nach langem hin und her ließ ich mich an der Strecke von einem Freund aus München abholen. Besten Dank Peter! Das der Streckenrekord bei diesen Wetterverhältnissen nicht zu knacken ist war klar und dies hatte ich auch akzeptiert. Also musste noch die Entscheidung gefällt werden, ob ich mich trotzdem die letzten 720 km noch durchquälen kann oder am Ende ein dnf steht. Ich entschloss mich daher ab diesem Zeitpunkt nur noch für mich alleine zu fahren. Gönnte mir eine Pause von insgesamt 14 h inkl. Ausschlafen, Bike säubern, Antrieb frisch ölen und leckeren Spaghetti Bolognese und setzte die Tour am nächsten Tag um 11 Uhr morgens fort. Noch ein kurzer Kaffee-Stop bei Florian und Tina, die direkt an der Strecke wohnen und mich über Instagram angeschrieben hatten, und ab gen Ziel. Bis dahin sollte ich noch einige Male heftig gewaschen werden, aber das war jetzt halb so schlimm. Daher konnte ich mich die letzten 520 km auch nochmals aufraffen am Stück durchzufahren und auf eine Schlafpause zu verzichten.

Fazit

Ich bin unglaublich froh und stolz das Rennen trotz aller widrigen Umstände bis zum Ende durchgezogen zu haben. Zwar konnte ich den Traum – einen neuen Streckenrekord aufzustellen – nicht erreichen, aber genau deshalb darf man sich nicht an Träumen messen. Ein Traum motiviert langfristig für ein derartiges Unterfangen wie das Race Around Germany zu trainieren und sein Leben zu großen Teilen danach auszurichten. Allerdings liegt die Erfüllung eines Traumes nicht immer in der eigenen Hand – wie in diesem Fall die starken Unwetter gezeigt haben. Daher ist es umso wichtiger den Traum in einzelne Ziele zu zerlegen. Die Erfüllung dieser Ziele wiederum habe ich absolut selbst in der Hand. Und wenn ich alle Ziele erfüllt habe, dann sind die Voraussetzungen zur Erfüllung des Traums optimal. Zwar ist dies keine Garantie, dass der Traum in Erfüllung geht, aber die Erreichung der Ziele ist die objektive Messlatte für die eigene Leistung. Da ich bereits während des Rennens unglaublich stark mit mir selbst gehadert habe, möchte ich hier kurz meine definierten Ziele mit Euch teilen. Diese hatte ich mir ganz zu Beginn der Saison niedergeschrieben und priorisiert. Dabei ist A die höchste und C die niedrigste Priorität.

Meine Ziele teilen sich auf die drei Kategorien 1) Ausdauer, 2) Effizienz und 3) Strategie auf. Meine Ausdauerleistung sollte primär auf dem Niveau der letzten Saison gehalten werden. Daher nur Ziele der mittleren Kategorie in diesem Bereich. Durch die Ergänzung von Krafttraining und sehr intensiven Trainingsphasen, die stärker überwacht werden sollten, wollte ich hier kleine Fortschritte erzielen ohne mehr Zeit investieren zu müssen. Dieser Plan ging vollends auf. Die 3.300 km stellten kein Problem für meine Beine dar und um ehrlich zu sein, wären stets ein paar Watt mehr drin gewesen, wenn es der Kopf denn nur zugelassen hätte. Der Bereich Effizienz stand im absoluten Fokus. Hierunter verstehe ich vor allem die Fähigkeit ein derart langes Rennen mit möglichst wenigen Unterbrechungen und auch einer möglichst aerodynamischen Position fahren zu können. Da ich im letzten Jahr auf Grund einer ISG Blockade mein Training lange aussetzen musste, wollte ich mich hier deutlich steigern. Entsprechend wurde mein Ausdauertraining stringent von einem Training für die passiven Strukturen begleitet. Mein Beckenschiefstand ist daher nahezu nicht mehr vorhanden und insgesamt konnte ich deutlich an Robustheit gewinnen. Auch hier sind alle Ziele vollumfänglich erfüllt. Keine Nacken-, Knie- oder Schulterschmerzen, keine Probleme im lumbalen Rücken. Weder während des Rennens noch nach des Rennens. Und auch in den strategischen Themen konnte ich meine Ziele erfüllen. Insbesondere die Nahrungsaufnahme war in der Vergangenheit eine Schwäche von mir. Diesmal hatte ich allerdings alles gut im Griff. Ganz bewusst habe ich vor dem Rennen ein paar Reserven angelegt und ca. 1,5 kg zugenommen. Während des Rennens habe ich gute 2 kg verloren, sodass ich die meiste Zeit mit perfektem Renngewicht unterwegs gewesen bin. Ebenso neigt mein Blutzucker während eines Rennens extrem stark zu schwanken. Hierfür wollte ich ein besseres Gefühl entwickeln, um in den richtigen Momenten Zucker zuführen zu können. Auch dies ist super gelungen und ich hatte zu keinem Zeitpunkt Schwindelgefühle oder ähnliches. Durch die Verwendung einer Musette (fancy Radfahrerwort für Umhängetasche) konnte ich dafür sorgen, dass ich auch nachts und vor längeren Pausen mehr als ausreichend zu essen dabei hatte. Und indem ich meine Vorräte direkt zwischen den Aerobars verstaut hatte, waren diese permanent erreichbar und vor allem auch sichtbar, sodass ich kontinuierlich jede Stunde gegessen habe. Meine Napping Strategie ist ebenfalls aufgegangen. In der Vergangenheit hatte ich immer wieder Probleme mit dem Einschlafen. Dank regelmäßigem autogenen Training war auch das beim Race Around Germany kein Thema mehr und ich bin stets innerhalb von wenigen Minuten weggedöst.

Insgesamt bin ich mit meiner eigenen Leistung daher vollkommen zufrieden. Die einzelnen Ziele konnten umgesetzt werden und haben mich zu einem insgesamt deutlich stärkeren Athleten werden lassen. Jetzt heißt es darauf aufbauen – neue Träume definieren – neue Ziele ableiten – und das nächste Abenteuer auf der Langstrecke suchen.

Wenn auch Du deine Ausdauerleistung weiter steigern möchtest – oder mit dem Gedanken spielst erste Erfahrungen im Lauf- / Radsport oder Triathlon zu sammeln, komm gerne auf mich zu.

Beste Grüße

Stefan

Veröffentlicht von Stefan

Ultracyclist, Ironman, Medical Fitness and Endurance Coach

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